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Kursverlauf und Inhaltsverzeichnis  -  Treffen 4 mit den Kapiteln 6 + 7  -  Überblick über Kapitel 6 +7

 

 

31. „Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung“ (Röm 13,10)  (Mt; Mk; Lk)

 

Bibelleseplan: Markus 1,1 bis 8,26

 

l Lesen Sie Mk 1,1 bis 8,26. Schauen Sie vor dem Lesen in die „Inhaltübersicht“ der LB über das Markusevangelium vor Mk 1. – Das Markusevangelium dürfte vor 70 n. Chr. (Zerstörung Jerusalems durch die Römer) irgendwo im heidenchristlichen Raum (Rom? Syrien?) verfasst worden sein. Darum muss der im Text namentlich nicht genannte Verfasser, der im 2. Jh. n. Chr. mit Johannes Markus iden­tifiziert wurde (Apg 12,12; Kol 4,10; 1Petr 5,13), jüdische Sitten erläutern (z.B. Mk 7,3–4) und in den Erzählstücken aufbewahrte aramäische Worte übersetzen (z.B. 5,41; 15,34). Vermutlich konnte Markus auf Sammlungen von Gleichnissen, Jesusworten, Wundererzählungen und auf die Passionsgeschichte zurückgreifen.

Nach Mk 3,6 steht Jesu Wirken von Anfang an unter dem Zeichen des Kreuzes. Drei Leidensankündigungen Jesu unterstreichen das (Mk 8,31; 9,31; 10,33–34). Jesu Kreuzigung ist die Konsequenz und das Ziel seines Wirkens (z.B. 10,45).

Immer wieder lesen wir im Markusevangelium, dass Jesus Geheilten, den Dämonen oder auch den Jüngern untersagt, ihn als „Sohn Gottes“ oder „Christus“ offenbar zu machen (z.B. Mk 1,44; 3,12; 5,43; 7,36; 8,30). Mit diesem sog. „Messiasgeheimnis“ wollte Markus zum Ausdruck bringen, dass Jesu Wirken erst im Lichte seiner Kreuzigung und von seiner Auferweckung durch Gott her richtig verstanden werden konnte (s. 8,31–33; 9,30–32; s. Kapitel 28.6 S. 188f.). In der Kreuzigung Jesu wurde of­fenbar, was vom ganzen Leben und Wirken Jesu gilt: „Wahrlich, dieser Mensch ist Got­tes Sohn gewesen!“ (15,39; s. auch Mk 9,9 nach 9,2–8).

 

 

Vorbemerkung: Wie ein Prophet (z.B. Hos 4,4–10; Mi 3,1–12; s. Kapitel 19.4b S. 105f.; 19.5 S. 106f.) hat sich Jesus beson­­ders mit den religiösen Führern seines Vol­kes auseinan­der gesetzt, um sie zur tat­sächlichen Beachtung von Gottes Willen zu bewegen. Dabei hat er es nicht an deutlichen Worten oder Hand­lungen fehlen las­sen, um sie in ih­rer geistlichen Blind­heit, Selbstgerechtigkeit oder auch in ihrem Fehl­verhalten zu erschüt­tern. Wie der Bußruf der Propheten auf Ablehnung stieß (s. Kapitel 19.8 S. 108f.), so wur­de auch Jesus (durch die Kreu­zigung) zum Schweigen gebracht (Mk 3,6; 14,1–2.64; vgl. 6,1–6).

 

 

31.1  Jesu Auseinandersetzung mit den Schriftgelehrten

 

a)  Der Stand der Schriftgelehrten

 

Wenn in den Evangelien Pharisäer neben Schriftgelehrten genannt werden (z.B. Mt 15,1; Mk 7,1.5), hat man wohl an pharisäische Schriftgelehrte zu denken. Ansonsten muss man zwischen Pharisäern und Schriftgelehrten unterscheiden. Der Stand der Schriftgelehrten hatte sich in der Zeit nach dem Exil herausgebildet, um die Juden im Gesetz (= den 5 Mosebüchern) zu un­terrichten (s. Kapitel 23.7b S. 143f.). Weil „das Gesetz“ (z.B. Lk 2,39) das religi­öse und das öffentliche Leben regelte, waren die Schriftgelehrten theologische Lehrer und auch Richter (vgl. Lk 12,13–15).

 

b)  Vom „Geist des Gesetzes“ zum „Buchstaben des Gesetzes“

 

Während der Besprechung des AT hatten wir gesehen, dass die Gebote ein gutes Ver­hältnis der Israeliten mit Gott und auch der Israeliten untereinander ermöglichen sollten (s. Kapitel 9.5 S. 37f.; 11.2 S. 49f.; 19.5 S. 106f.). Als das Gottesvolk sich nach dem Exil zur Gesetzesgemeinde ent­wickelte, empfand man das Gesetz als eine segensreiche Gabe Gottes für sein Volk (Ps 1,2–3; 119,44–48; Spr 3,1–2; s. Genau­­eres in Kapitel 23.7 S. 142ff.).

 

Doch trat im Laufe der Jahrhunderte der „Buchstabe des Gesetzes“, also die Orientierung am Wortlaut einer gesetzlichen Bestimmung, an die Stelle des „Geistes des Gesetzes (vgl. Röm 7,6; 2Kor 3,6). So war zur Zeit Jesu ein „gesetzliches“ Verständnis der biblischen Weisungen und Gebote verbreitet, wobei man zwischen rituellen und sittlichen Geboten nicht unterschied.

 

ThorarolleMan zählte in der Bibel 613 Ein­zel­gebote (248 Gebote und 365 Verbote). Die Bibel (un­ser AT) wurde wie ein Gesetz­buch be­han­delt. Die einzelnen Pa­­ra­gra­phen (Einzel­gebote) soll­ten mit einer Vielzahl von Aus­füh­rungs­bestim­­­­mungen, den sog. „Sat­zun­gen der Ältesten“, „haltbar“ gemacht werden (Mk 7,5; diese münd­lich überlieferten Traditionen soll­­ten bis in die Mosezeit zurück­reichen und wurden da­rum mit den Geboten der Mosezeit auf eine Stu­­fe gestellt; s. auch Kapitel 27.4 S. 177). Mit die­ser Aus­legungspraxis legten die Schriftgelehr­ten ihren Zeitgenossen al­lerdings unge­heu­re Lasten auf (vgl. Mt 23,4), denn wel­­cher Mensch war schon da­zu in der La­ge, 613 Einzelgebote und noch viel mehr Ausführungs­be­stim­mun­gen im alltäg­lichen Leben mit seinen An­for­de­run­gen und Zwängen umzusetzen? Im Übrigen wurde vorausgesetzt, dass der Mensch alle Ge­bote Got­tes halten und mit entsprechenden Leis­tungen in Gottes Gericht bestehen könn­te.

 

Von der Last solchen Leistungsdrucks wollte Jesus die Menschen befreien, in­dem er sie in seine Nachfolge rief: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmü­tig und von Her­zen demütig; so wer­det ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und mei­ne Last ist leicht“ (Mt 11,28–30).

 

 

c)  Jesus befreit von der Gesetzlichkeit

 

Die Gebote sollen den Menschen dienen, nicht umgekehrt

 

Indem Jesus auf den „Geist“, also auf den hinter einem Gebot stehenden Wil­len Gottes hinwies, befreite er die Men­schen von dem Zwang, die einzel­nen Gebote mit Hilfe von zusätzlichen Ausführungsbestimmungen (s.o.) hal­ten zu müssen: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen (Mk 2,27; s. Kapitel 27.4b S. 177). Weil das Gebot für den Menschen da ist und nicht umgekehrt, kann man nach Je­sus am Sabbat auch not­wen­dige Din­ge tun (z.B. 2,23–24) und z.B. Menschen heilen (3,1–5).

 

Das Doppelgebot der Liebe

 

Auf dem Hintergrund des Verständnis­ses des Gesetzes als einer Ansamm­lung von 613 Einzelgeboten ver­­steht man die Frage eines Schriftgelehrten nach dem wichtigsten Gebot in der Tora (Mk 12,28). Jesus antwortet ihm mit dem „Doppelgebot der Liebe“: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben ... [5Mose 6,5] und „... deinen Nächsten wie dich selbst [3Mo­se 19,18](Mk 12,30–31). Die Gebote der Gottesliebe und der Nächstenliebe (wie dich selbst) enthalten alles, was das Gesetz des Mose und die Lehren der Propheten über Gottes Willen aussagen (Mt 22,40).

 

Wer das begriffen hat und davon ergriffen ist, dem ist das Gesetz „ins Herz geschrieben“ (Jer 31,33; s. Kapitel 21.4 S. 121f. und die Abb. auf S. 122). Er kann Gottes- und Nächstenliebe üben, oh­ne dafür ausgeklügelter Einzelanwei­sungen zu bedürfen; er erfüllt Gottes Willen „im Geist“, d.h. von Herzen, aus seinem Inneren heraus: Gott „hat uns fä­hig gemacht, Diener des Neu­en Bun­des zu sein, der nicht vom Buch­staben, sondern vom Geist bestimmt ist. Denn der Buchstabe (= die Ori­entie­rung am Wortlaut einer gesetzlichen Bestimmung) tötet, aber der Geist (= der hinter einem Gebot stehen­de göttliche Wille) macht lebendig“ (2Kor 3,6); er befähigt uns also zur Got­tes- und zur Nächstenliebe. Mit un­serer Liebe zu Gott und zu unserem Nächs­ten antworten wir auf die Erfahrun­gen von Gottes Liebe zu uns (z.B. Lk 15,20.21–24; 1Joh 3,1; 4,10. 19–21).

 

Die von den Schriftgelehrten gepflegte Ge­­setzesfrömmigkeit blieb beim Wortlaut eines Einzelgebots stehen und drang nicht zum „Geist des Gesetzes“ vor. Darum warf Jesus den Schrift­gelehrten mit dem Zi­tat von Jes 29,13 vor, Gott zwar „mit den Lippen zu eh­ren“, „aber ihr Herz ist fern von mir“; ih­re „Lehren“ (= die „Satzun­gen der Ältesten“ [s.u.]) sind nichts an­de­res als „Men­schen­gebote“ (Mt 15,8–9). Hart war sein Vor­wurf, dass sie mit ihrer gesetzlich-ka­su­istischen Schriftauslegung den Menschen „unerträgliche Lasten“ auflegten, doch sie selber „nicht mit einem Finger an­rührten“ (Lk 11,46; s. auch 11,47–52). Ihr Verhalten entsprach nicht ihren Wor­ten (Mt 23,2–4).

 

01 Kap.31 2 randloser

Die Abbildung „Gottes Liebe macht uns zur Gottes- und Nächstenliebe bereit“ veranschaulicht die oben ausgeführten Gedanken: Gottes Liebe erfahren wir durch Jesus Christus (vgl. Joh 1,17). Er starb für unsere Sünde und Schuld (s. Kapitel 30.2 S. 197 und 30.c S. 198f.). Weil Gott uns um Christi willen gnädig ist, antworten wir auf seine Liebe zu uns mit unserer Liebe zu Gott (Pfeil zur linken Gebotstafel) und zu unserem Nächsten (Pfeil zur rechten Gebotstafel).

 

d)  Jesu Kampf gegen die „Satzungen der Ältesten“Satzung der Ältesten

 

Scharf war Jesu Vorhaltung, dass die auf korrekte Gebotserfüllung bedachten Schrift­gelehrten mit ihrer Aus­le­gungs­praxis die tatsächliche Erfüllung der Gebote Gottes ver­hinderten: „Ver­geb­lich dienen sie mir, weil sie lehren sol­che Lehren, die nichts sind als Men­­schengebote. Ihr verlasst Got­tes Ge­­bot und haltet die Satzungen von Men­­schen(Mk 7,7–8).

 

Beispielhaft macht Jesus dieses am „Korban“-Gelübde klar, das zu einer Aushöh­lung des 4. Gebots geführt hatte. „Denn Mose hat gesagt: Du sollst deinen Va­­ter und deine Mut­­ter ehren ... Ihr aber lehrt: Wenn ei­ner zu Vater oder Mut­ter sagt: ‚Korban’ – das heißt: Op­­fergabe soll das sein, was dir von mir zusteht –, so lasst ihr ihn nun nichts mehr tun für sei­nen Vater oder sei­ne Mutter und hebt so Gottes Wort auf durch eure Satzungen, die ihr über­liefert habt; und derlei tut ihr viel“ (Mk 7,10–13). Mit dem Korban-Gelübde konn­te sich ein Mensch seinen Unterhalts­ver­pflich­tun­gen den eigenen Eltern ge­genüber – ei­ne Rente gab es damals nicht – entziehen, in­dem er sein Hab und Gut dem Tempel weih­te. Nach seinem To­d musste sein Ei­gentum dem Tempel un­ge­schmä­lert über­­eignet werden. Die Got­tesliebe (Widmung des eigenen Besitzes für den Unterhalt des Tempelkults) wird hier gegen die Nächstenliebe (4. Gebot) ausgespielt. Das widerspricht nach Je­sus dem Willen Gottes, nach dem Gottes­liebe und Nächstenliebe untrennbar sind (Mt 22,34–40; Mk 12,28–34; Lk 10,25–28.29–36; s.o.).

 

Weil die Schriftgelehrten Gottes Ge­bote mit den „Satzungen der Ältesten“ geradezu außer Kraft setzen konnten (Mk 7,9.13), nann­te Jesus sie „Heuchler“ (z.B. Lk 13,15; Mt 23,13). Es verwun­dert nicht, dass später auch die Schrift­ge­lehrten unter denen waren, die Jesus gewaltsam zum Schwei­gen brach­ten (Mk 14,1; 2,6–7).

 

 

31.2  Jesu Auseinandersetzung mit den Pharisäern

 

a)  Die Laienbewegung der Pharisäer

 

Während die Schriftgelehrten hauptberufliche Theologen waren, waren die Pharisäer mit Ausnahme der pharisäischen Schriftgelehrten (s.o.) zumeist Kaufleute oder Handwerker, die als „Abgesonderte“ („Pharisäer“ kommt vom hebräischen „pe­­ruschim“) inmitten des Got­tesvolkes (!) lebten. Als besondere Ver­pflichtung  des pharisäischen Lebens sind zu nennen die penible Einhaltung der ein­zelnen Gebote (s.o.), die gewissenhafte Be­achtung der Ab­gabe des Zehnten und die sorg­sa­me Praktizierung von Reinheits­vorschriften (s. Genaueres in Kapitel 27.6 S. 176f.).

 

b)  Der religiöse VerdienstgedankeVerdienstgedanke

 

Die Pharisäer wurden in ihrem religiösen Engagement u.a. auch durch den Verdienstgedanken motiviert, nach dem die Beachtung der Gebote von Gott positiv angerechnet wurde, während Gebotsübertretungen negativ zu Buche schlugen. Mit besonderen Anstrengungen wie Sonderfasten (Mk 2,18; Lk 18,12) und Almosengeben (vgl. Mt 6,1–4) versuchten sie, gelegentliche oder un­be­wusste Gebots­über­tre­tungen wieder gutzuma­chen. Das hinter die­sem religiösen Leis­tungs­­den­ken stehende Gottesbild ist das eines Kaufmanns oder Rich­ters, dessen Entschei­dung davon ab­hän­gig ist, wie genau es ein Mensch mit dem Hal­ten der Ge­bote genommen hat.

 

Der religiöse Verdienstgedanke setzt voraus, dass der Mensch Gottes Gebote halten kann. Ganz anders sah das der ehemali­ge Pharisäer Paulus (Phil 3,5–6), nachdem er Christ geworden war: Die Macht der Sünde hindert den Menschen daran, Gottes Gebote zu erfüllen (z.B. Röm 7,14–25). Positiv verhelfen die Gebote dem Menschen jedoch zu der Erkenntnis, dass er ein Sünder ist (Röm 3,20; 7,7; Gal 2,16).

 

Jesu radikales Gebotsverständnis

 

Auch Jesus widersprach der Überzeugung, dass man sich mit Hilfe genauer Gebotserfüllung einen „Platz im Him­mel“ sichern könne: Gottes Wille wird auch mit noch so vielen Ausführungsbestimmungen nicht getan, sondern im­mer nur eingegrenzt. Gottes Wille gilt aber unbegrenzt. Darum schließt z.B. die Liebe nicht nur den Nächsten, sondern auch den Feind mit ein (z.B. Mt 5,43–47). Jesus radikalisierte die Ge­bots­auslegung, damit die Pharisäer und alle Menschen der eigenen Sündhaf­tigkeit und Schwachheit ansichtig wer­den: „Ihr habt gehört, dass gesagt wor­den ist: ‚Du sollst nicht ehebrechen.’ Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in sei­nem Herzen“ (Mt 5,27–28; s. auch 5, 21–22.33–37).

Beachtung aller Gebote

 

Das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner

 

Mit dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9–14) und anderen Gleichnissen wollte Jesus die Pharisäer in ihrer Selbstsicherheit erschüt­tern; denn sie täusch­ten sich über ih­re wirkliche Situation vor Gott. Das Ge­bet des Pharisäers (18,11–12) lautet im Grunde: „Gott, ich ha­­be alle Gebote ge­hal­ten und mehr getan als ich nötig ha­be. Du wirst mit mir si­cher zu­frieden sein.“ In lieblosester Weise erhebt er sich über „diesen Zöllner [da](18,11). Weder liebt er, wie es dem Doppelgebot der Lie­­be ent­spräche, seinen Nächsten noch auch Gott; denn er vertraut nicht auf Gott, sondern auf seine frommen Leis­tun­gen.

Anders der Zöllner: Er ist sich bewusst, ein Sün­der zu sein. Aber das hindert ihn nicht da­ran, in den Tempel zu gehen, denn er vertraut auf die Gna­de Gottes: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (18,13). Jesus sagt nun, dass Gott den Zöllner, nicht aber den Pharisäer angenommen hat (18,14a). Der wohl vorne im Tempel be­ten­de Pharisäer (vgl. 18,13) steht mit seiner Frömmigkeit Gott ganz fern. Frömmigkeit kann eine be­sondere Form der Gottesferne sein.

 

c)  Reinheitsgebote und Zehntpflicht

 

Dem pharisäischen Bemühen um rituel­le Reinheit (z.B. Mk 7,3–4; zu den Reinheits­geboten des AT s. Kapitel 12.6 S. 58ff.) hielt Jesus ein radikal anderes Verständ­nis von Reinheit entgegen: Nichts von außen in den Menschen Hineinkommende verunreinigt ihn, son­dern die bösen Gedanken des Herzens, die aus dem Menschen herauskom­men, führen zu Gebotsübertretun­gen (Mk 7,17–23; Lk 11,39–40). Wenn Jesus die Pharisäer mit „übertünchten Grä­bern“ verglich, die „von außen hübsch aussehen“, „in­nen“ aber „voller Totengebeine und lauter Unrat“ sind, dann traf dieser Vergleich die auf rituelle Reinheit bedachten Pharisä­er besonders hart (Mt 23,25–28).

 

Auch die für die Pharisäer charakte­ris­­ti­sche, penible Ein­haltung der Zehnt­­pflicht hielt Jesus für ein frommes Bemühen an der falschen Stelle: Es geht nicht an, dass man Kleinigkeiten wie „Minze, Dill und Kümmel“ kor­rekt verzehntet, aber „das Wichtigs­te im Gesetz“ übergeht, „nämlich das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben“ (Mt 23,23; Lk 11,42).

 

Wie den Schriftgelehrten, so warf Jesus auch den Pharisäern eine „heuchlerische“, also unehrliche und zudem auf öffentliche Anerkennung bedachte Frömmigkeit vor (z.B. Mt 5,20; 6,1–4.5–6.16–18; 23,13.15.23) und machte sie sich da­mit zu Todfeinden (z.B. Mk 3,6).

 

  

31.3  Jesu Auseinandersetzung mit der Priesterschaft

 

Schon die Propheten standen den Opfern von ansonsten gottentfremdeten Menschen kritisch gegenüber (s. Kapitel 19.4b S. 105): „Denn ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer“ (Hos 6, 6). Dieses Wort wird sowohl in Mt 9,13 als auch in 12,7 zitiert und setzt die Gottes- und Nächstenliebe über den Opferkult; ähnlich auch Mt 5,23–24: „Darum: wenn du deine Ga­be auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas ge­gen dich hat, so lass dort vor dem Altar dei­ne Gabe und geh zuerst hin und versöh­ne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe.“ Gottesliebe (Opfer) und Nächstenliebe (Versöhnung mit dem Bruder) sind also untrennbar. Wie diese Worte Jesu den Opferkult res­pek­tie­ren (s. auch Mt 17, 24–27; Mk 1,40–44), so hat Jesus den Tempel auch als eine Stätte be­­sonderer Gottes­nähe geschätzt (Mt 21,13; 23,16–22; 26,55; vgl. Lk 2,49; in einer Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern sagt Jesus von sich: „Ich sage euch aber: Hier [in mir] ist Größeres als der Tempel“: in Jesu Wirken und Wort kann man Gott also näher kommen als im Tempel).

 

HeidenMit der sog. „Tempelreinigung“ stellte Jesus allerdings den Opferkult selber in Frage. Alle Evangelien berichten, dass Jesus – wohl mit einer Zei­chen­handlung (s. Kapitel 18.5b S. 100) – Tische der Geldwechsler und Stände der Tierhändler umstieß und Wechs­ler und Händler aus dem Tempel trieb (z.B. Mk 11,15–18; in der Diaspora oder entfernter von Jerusalem lebende Juden waren darauf angewiesen, im Tempel mit der dort verlangten Währung [tyrische Schekel] fehllose Opfertiere zu kaufen [3Mose 1,3; Mal 1,8.14]). Ohne Tiere ist ein Opferkult aber nicht vollziehbar.

 

Mit seinem Vorgehen brachte Jesus zum Ausdruck, dass die Heilszeit angebrochen ist (Sach 14,21b; vgl. Mk 1,15). Dass die Ge­meinschaft mit Gott in der Heilszeit al­len Völkern und nicht nur dem Gottesvolk Israel gilt (s. Kapitel 21.5 S. 122f.), machte Jesus mit einem Zitat aus Jes 56,7c deutlich: „Mein Haus soll ein Bethaus hei­ßen für alle Völker(Mk 11,17).

 

Die erste Abbildung von Kapitel 31,3 ver­anschaulicht den Ausschluss der Heiden aus Gottes Gemein­schaft (eine Mauer trennt die Heiden von Gott und dem Gottesvolk).

 

Der Ausschluss der Heiden aus Gottes Gemeinschaft ist in der Heilszeit überwunden, in der alle Völker Gemeinschaft mit Gott haben (Doppelpfeile):alle Völker

 

In Anspielung an Jer 7,11 warf er den Priestern vor, aus dem Tempel Gottes eine „Räuberhöhle“ gemacht zu haben (Mk 11,17), ihr priesterliches Amt also aus Profitgier zu betreiben. In korrekter Übereinstimmung mit den alttestamentlichen Opfervorschriften missbrauchten sie ihr Priesteramt zur Geschäftemacherei mit Gott (Verstoß ge­gen die Gottesliebe) und mit der Fröm­mmigkeit des Volkes (Verstoß gegen die Nächstenliebe). Die Priester­schaft reagierte auf Jesu Vorgehen und Vorhaltungen mit dem Beschluss, ihn zu töten (Mk 11,18; 14,1–2).

 

 

31.4  Jesus hebt das Absonderungsgebot auf

 

Die Pharisäer (= Abgesonderte) hielten das Absonderungsgebot durch ihre Exi­s­tenz lebendig. Nach dem Exil (s. Ka­pitel 23.7a S. 143) wurde die Ab­son­de­rung von den Heiden und zur Zeit Jesu auch von An­gehörigen des eigenen Volkes (Essener / Pharisäer: s. Kapitel 27.4b S. 175ff.) streng durchgeführt, wobei der ei­­gentliche Sinn der Absonderung als Glau­benshilfe (s. Kapi­tel 8.3 S. 29f.; 9.2 S. 34ff.) aus dem Blickfeld geraten zu sein schien.

 

Nach Jesus waren die Heiden vom Reich Gottes aber nicht aus-, sondern eingeschlossen (z.B. Mk 11,15–17; s.o.). Zei­chenhaft hob er darum das Absonderungsgebot auf:

 

Mit dem Gleichnis vom barmherzigen Sa­ma­riter (Lk 10,25–37) machte er deutlich, dass es gerade dieser in den Augen der Ju­den gottlose Samaritaner (Joh 4,9; s. Kapitel 23.4a + 5 S. 139.141) war, der Gott wirk­lich gedient hat (Lk 10,27), während die jü­­dischen Gottesdiener (Priester und Levit) Gott gerade nicht dienten, als sie sich ihrem hilfsbedürftigen Nächsten versagten; denn Gottesliebe und Nächstenliebe sind untrennbar (10,25–28). – Von zehn ge­heilten Aussätzigen kehrt nur einer dank­bar zu Jesus zurück, „und das war ein Sa­mariter(Lk 17,16); „dieser Fremde“ ist „um­gekehrt“ und hat „Gott die Ehre ge­ge­ben“ (17,18). – Von einem römischen Haupt­­mann sagt Jesus: „Sol­chen Glauben ha­be ich in Israel bei kei­nem gefunden“ (Mt 8,10 in 8,5–13; s. auch 8,11–12 und 21,28–32.33–46). – Scheint die Geschichte von der Heilung der Tochter einer kana­a­nä­ischen Frau (Mt 15,21–28) die Sonderstellung des jüdischen Volkes zunächst zu be­stätigen (15,24.26), so sagt Jesus am Ende: „Frau, dein Glaube ist groß!“ (15,28).

 

Was im irdischen Wirken Jesu zeichen­haft deutlich wurde, soll nach Ostern weltweit Realität werden: „Alle Völ­ker“ werden eingeladen, Jesus nach­­zufolgen und Bürger von Gottes Reich zu werden (Mt 28,18–20). Im Mis­­sionsauftrag Christi erfüllt sich al­so die Abrahamsverheißung von 1Mo­se 12,3 (s. z.B. Kapitel 7 S. 23ff.). Darum lässt Matthäus den Stammbaum Jesu auch bei Abraham beginnen (Mt 1,1). Es hat einige Zeit gedauert, bis die vom Absonderungsdenken geprägten Jün­ger Jesu Verhalten verstanden und be­griffen, dass das Absonderungsgebot keine gottgewollte „Dauereinrichtung“ war (Apg 10,1–48). 

 

 

31.5  Zusammenfassung

 

Jesus geriet mit den religiösen Führern seiner Zeit, den Schriftgelehrten, Pharisäern und Priestern, in Konflikt, als er sein Volk in die Nähe Gottes und zu einer tatsächlichen Beachtung von Gottes Willen zurückrief. Den geistlichen Führern seiner Zeit erschien es so, als wollte Jesus die heili­gen Ordnungen des AT und die religiösen Traditionen in gotteslästerlicher Weise außer Kraft setzen (z.B. Mk 2,7; 14,64). Darum erwirkten sie bei den Rö­­mern seine Verurteilung zum Tode.

 

Jesus wollte allerdings die Grundlagen des Gottesvolkes nicht in Frage stellen, sondern wieder neu zur Geltung bringen: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen“ (Mt 5,17; „erfüllen“ = auf den vol­len von Gott gemeinten Sinn bringen). Das Gesetz und die Zehn Gebote, also der Wille Gottes werden durch die Gottes- und Nächstenliebe erfüllt (Mk 12,28–31; s.o.). „So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung“ (Röm 13,9–10). Indem Gott uns durch die Erfahrung sei­ner Liebe zur Gottes- und Nächstenlie­be befähigt (Röm 5,5; 1Joh 4,10), versetzt er uns in die Lage, „im Geiste“ (s.o.) als seine Kinder zu leben (z.B. Joh 1,12; Röm 8,14; vgl. Mt 6,9) und so auch an­deren Menschen zum Segen zu wer­den (1Mose 12,2–3).

 

 

 

 

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